Mit KI in die Zukunft, die wir uns vorstellen können
Kürzlich erschien an dieser Stelle ein Beitrag, der sich der „Fortschrittsfalle KI“ und damit zusammenhängenden existenziellen Ängsten widmete. Diese sind unbegründet, sagt ein wesentlicher Teil der KI-Forschenden. Warum wir stattdessen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken sollten – von Prof. Thilo Stadelmann und Dr. Andreas M. Walker.
Wenn man existenziellen Ängsten rund um KI Raum geben möchte, kann man das nur auf Basis des weltanschaulichen Nährbodens tun, der sie hervorbringt. Doch das als TESCREAL-Paket bekannt gewordene Konglomerat aus pseudoreligiösen Philosophien rund um Transhumanismus und Longtermismus kann gerade christlich geprägten Menschen unmöglich als Fundament dienen, von seiner Unplausibilität ganz zu schweigen. Doch der Reihe nach.
Mit dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ ist das so eine Sache. Aus dem Wortbestandteil „Intelligenz“ leiten wir intuitiv eine Ähnlichkeit zum Menschen ab und zu dem, was und wie wir selbst sind. Daraus ziehen wir dann Schlussfolgerungen, inspiriert von den Geschichten, die wir aus dem Unterhaltungssektor kennen – der Science-Fiction zum Beispiel. Aber das „künstlich“ in „KI“ ist bedeutungstragend, und zwar in gleichem Masse, wie es das Wort „fliegend“ in „fliegender Teppich“ ist: Es macht aus der einen Sache (einer Natürlichkeit, die wir alle kennen: dem Teppich) etwas völlig anderes (ein mythisches Flugobjekt: den fliegenden Teppich). Beide Konzepte verbindet bezüglich ihrer Wirkung in der Welt – nichts.
So geht es uns auch mit der künstlichen Intelligenz: Verstanden als „Intelligenz, aber im Internet/Cyber Space, daher unbegrenzt expandierend“, mit dem Potenzial, sich ihrer Programmierung und Regulierung qua selbstlernendem Mechanismus zu entledigen und letztlich die Menschheit auszurotten, ist ein Konzept aus der Science Fiction. Real existierend ist „Künstliche Intelligenz“ aber eine Technologie zum „Erzeugen intelligent wirkenden Verhaltens mittels des Computers“. Dabei geht es um das „Faken“ von Intelligenz auf der Ebene ihrer Ergebnisse. Beide Konzepte haben real nichts gemein, und diese Aussage hat auch mit Blick auf jeden bekannten Weiterentwicklungsansatz bestand. Weltuntergangsszenarien müssen daher auf andere Protagonisten setzen. Wie kommt es, dass diese angstmachenden Narrative trotzdem so viel Zuspruch finden?
Wie Prof. Melanie Mitchell kürzlich in Science ausführte, gibt es eine offene Debatte innerhalb der Forschungsgemeinschaft darüber, was Intelligenz überhaupt ist, und ob KI jemals in deren Nähe kommen kann, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Prof. Yann LeCun, vielleicht die profilierteste Stimme der KI Forschung überhaupt und 2018 ausgezeichnet mit dem Turing Award für Durchbrüche in genau dem Forschungsfeld, das die aktuellen Hoffnungen und Ängste beflügelt (Deep Learning), sagte dazu dem Time Magazin: Vielleicht könne man in kommenden Jahren katzenartige Intelligenz erreichen, jedoch sei Intelligenz nichts, was sich auf einer eindimensionalen Skala messen lasse. Entsprechend erteilt er der Idee, dass eine stetigen Fortentwicklung der KI unweigerlich zu Superintelligenz führe, eine klare wissenschaftliche Absage, und hat ein wenig schmeichelhaftes Wort parat für jede Art von Ängsten, die aus einer solchen Vorstellung erwachsen: „Absurd“.
Wie kommen dann vernünftige Menschen wie Tech-CEOs Elon Musk und Samuel Altman oder MIT-Professor Max Tegmark auf den Gedanken, mit Verve vor ebensolchen existentiellen Risiken zu warnen? Kurz gesagt, aus rein weltanschaulichen Gründen. Wie Émile Torres in Zusammenarbeit mit Timnit Gebru ausführt, hat sich in den letzten Jahren gerade unter Tech-Grössen in Kalifornien ein weltanschaulicher Cocktail etabliert, den er sehr drastisch als „Eugenik des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Die Kombination aus Transhumanismus, Extropianismus, Rationalismus, effektivem Altruismus gepaart mit Longtermismus und Weiteren – gemeinsam nach ihren Anfangsbuchstaben auch „TESCREAL“ genannt – muss man im wahrsten Sinne des Wortes glauben, um den Gedankengang hinter dieser spezifischen KI-Dystopie nachzuvollziehen, wie er programmatisch hinter etwa der Moratorium-Forderung des Future of Life Institute steht. Allerdings spielt diese Weltanschauung in den Denkweisen der meisten Menschen keine Rolle – und steht insbesondere einem christlich geprägten Welt- und Menschenbild diametral entgegen, wie etwa Oliver Dürr klar argumentiert.
Zugegebenermassen war es lange schwer, hier klar zu sehen: Die Medien übernahmen entsprechende pessimistische Narrative im grossen Stil, und die Liste der Unterstützer liest sich lang und prominent. Unterdessen, ziemlich genau ein Jahr nach besagter Moratoriums-PR, ist es sehr still geworden um solch extreme Aussagen, was auch auf die klare Positionierung von Meinungsführern wie Prof. Andrew Ng zurückzuführen ist, welche dem „Doomsaying“ argumentativ klare Absagen erteilten, sowie vermehrter publizistischer Betrachtung der pseudoreligiösen Hintergründe von TESCREAL. Was bedeutet das für uns als Gesellschaft und für unseren Umgang mit KI?
Wie wir in AI and Ethics darlegen, prägt unser Umgang mit Technologie nicht nur die Technologie selbst (zum Beispiel dadurch, dass wir das entwickeln, was wir uns vorstellen können), die Technologie und was wir in sie hineininterpretieren, prägt auch uns. Es erscheint wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Wenn wir uns als Opfer einer imaginären KI mit imaginierten Risiken sehen, tut uns das nicht gut. In Abwandlung eines bekannten Werbemotivs: Wir sind nicht unser bestes Selbst, wenn wir ängstlich sind (vielleicht ist daher das häufigst wiederholte Gebot der Bibel: „fürchtet euch nicht“). Umso wichtiger ist es, unnötige Ängste über Bord zu werfen – und im Umkehrschluss, realistische Narrative der Zukunft zu entwickeln statt hypothetischer, gänzlich unwahrscheinlicher Schreckensszenarien. Gerade die christliche Spiritualität hat hoffnungsvolle Zukunftsaussichten parat. In welcher Welt wollen wir leben? Gibt es dafür Hoffnung? Einen Weg? Was sagen wir der „Letzten Generation“? Dies verdient vielleicht ein ausführlicheres Format.
Ist KI risikolos? Keineswegs, und der zuletzt verlinkte Artikel wirft ein ausführliches Schlaglicht auf einige der Herausforderungen. Stecken wir in einer existenzbedrohenden Fortschrittsfalle? Diesem Gedanken muss mit aller Deutlichkeit widersprochen werden. KI ist ein Werkzeug. Nutzen wir es zum Guten und fangen wir an, eine Zukunft zu beschreiben und nach ihr zu streben, wie wir sie für lebenswert erachten. Dabei lernen wir von den TESCREAListen: Die Inspiration und Motivation hierfür darf heute gerne offen spirituell und weltanschaulich geprägt sein.
Der Autor, Prof. Thilo Stadelmann, sprach auf dem Kongress Christlicher Führungskräfte 2023 über die Macht der Künstlichen Intelligenz und wie wir sie zum Guten einsetzen können: zum Vortrag (YouTube).
Prof. Stadelmann ist Key Note Speaker des KCF25, der vom 6.-8. März 2025 in Karlsruhe stattfinden wird.